Bauingenieurwesen Brückenbau mit Spoiler
Während des Baus kann schon ein frischer bis starker Wind fatal für entstehende Brücken sein. Im Windkanal werden Schutzmöglichkeiten geprüft.
Mit über 100 Stundenkilometern sind Autobahnbrücken oft schnell passiert, und mögen sie noch so lang sein. Beim näherem Hinsehen sind sie umso beeindruckender: Manchmal mehrere Hundert Meter lang überbrücken sie Täler oder Flüsse in schwindelerregenden Höhen. Wie bewerkstelligt man das eigentlich?
„Solche Brückenüberbauten werden heute meistens im Taktschiebeverfahren gebaut“, sagt Prof. Dr. Rüdiger Höffer, Leiter der Arbeitsgruppe Windingenieurwesen und Strömungsmechanik am Institut für Konstruktiven Ingenieurbau an der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwesen der RUB. „Diese Technik unterscheidet sich grundsätzlich vom Bau eines Brückenüberbaus auf Lehrgerüsten oder im Freivorbauverfahren. Heute läuft das Ganze maschineller ab. Bei Brücken baut man zuerst ein Widerlager und die anschließenden Stützen. Am fertigen Widerlager – der Stelle, an der die Brücke beginnen soll – wird parallel eine Feldfabrik aufgebaut, die in einer Serienfertigung die Abschnitte der Brücke vor Ort fertigt. Diese werden dann vom Widerlager aus unter hohem Druck mehrerer Pressen stückweise in Richtung der mittlerweile entstandenen Stützen vorgeschoben, während am Widerlager immer neue Teile angebaut werden. So wächst die Brücke zunächst ins Leere – Fachleute sprechen vom taktweisen Vorschub.
120 Meter ins Freie
Die Dimensionen sind dabei enorm: Während man in den 1980er-Jahren nur Brücken bis etwa 40 Meter Gesamtlänge auf diese Weise fertigte, kann heute der Abstand zwischen zwei Stützpfeilern mehr als 120 Meter betragen. Der Überbau der Brücke wird als oben offener Stahlkasten gefertigt, „das kann man sich im Querschnitt so vorstellen wie ein breites U“, veranschaulicht Höffer. Die stabilisierende Fahrbahn aus Beton kommt erst später drauf, denn sie wäre viel zu schwer für die Bauweise. Ein einziges solches Teilstück kann 15 bis 30 Meter lang sein. Mit wenigen Metern pro Stunde wird es in Richtung der nächsten Stütze geschoben, dann wird das nächste daran montiert und verschraubt. „Wenn alles gut läuft, kann man so die Strecke zwischen zwei Stützen – wir sprechen von einem Feld – innerhalb einiger Tage überbrücken“, erklärt Rüdiger Höffer.
Weil die Schwerkraft die Spitze der sich vorschiebenden Brücke nach unten zieht, wird dort ein sogenannter Vorbauschnabel angebracht, eine Art Gitterträger, der eine dreieckige Form besitzt und sich auf die nächste Stütze schiebt, um die Brücke darauf zu heben. Dieser Schnabel kann gut und gerne 30 Meter lang sein, in einigen Fällen 40 Meter.
Diese riesige Größe wirft ein Licht auf die Kräfte, die auf die einzelnen Teile einwirken. Neben den hohen Druck- und Zugspannungen, die durch das Eigengewicht in den verschiedenen Querschnitten der Bauteile wirken, gibt es auch Einwirkungseffekte aus Lasten des Montagematerials und durch Montagearbeiten auf der wachsenden Brücke. Weitaus kritischer können aber die Einflüsse des Windes sein.
Gefürchtete Böen
„Das oben offene U des Überbaus mit seinen zumeist geneigt angebrachten Wänden ist für Wind sehr angreifbar“, erläutert Höffer. Das Stahlkonstrukt biegt sich durch oder verdreht sich. Der Wind kann es in drei Richtungen verformen. Besonders gefürchtet sind Windböen, die die entstehende Brücke zu Schwingungen anregen: Ein Windstoß, der zu einer Schwingung führt, wird gefolgt von einem nächsten, der die Schwingungen verstärkt – das Bauwerk schaukelt sich auf. „Ein Sturm oder ein Sommergewitter kann dabei zu Amplituden im Meterbereich führen“, macht Rüdiger Höffer deutlich. Aber auch kleinere Schwingungen können das Bauwerk schädigen, denn die Schwingungen belasten die Einspannstelle der Brücke am Widerlager zyklisch. Eigentlich sind diese Bereiche des Bauwerks auf Millionen leichter Schwingungen ausgelegt. Während eines Sturms in der Bauphase genügen jedoch schon einige Hundert größere Bewegungen, um Mikrorisse zu verursachen, die eine aufwendige Sanierung oder sogar einen Austausch des Bauteils erzwingen. Deswegen wollen Ingenieurteams solche Schwingungen unbedingt vermeiden.
Eine Möglichkeit, ein Aufschaukeln durch den Wind zu verhindern, kann es sein, eine gegenschwingende Masse am Vorbauschnabel anzubringen, einen sogenannten Schwingungstilger. Die Masse eines solchen Systems kann durchaus eine Tonne und mehr betragen. Sie schwingt im Gegentakt zu den Schwingungen des Brückenträgers. So kann es die Amplituden der Tragwerksschwingung verringern, ist aber in Konstruktion und Einstellung sehr aufwendig und teuer. Überdies funktioniert es nur in einem Freiheitsgrad, also in eine Schwingrichtung. Winderregte Schwingungen, wie sie an den Brückenüberbauten im Vorschubzustand auftreten können, sind dagegen oft dreidimensional. Daher ist es wirksamker, die Schwingungsanregung durch die Kontrolle der Windkräfte zu vermeiden.
Die Windingenieure an der RUB, von 1970 bis 2000 angeleitet durch Höffers Vorgänger, Prof. Dr. Hans-Jürgen Niemann, und nachfolgend von ihm selbst, untersuchen diese winderregten Schwingungsphänomene seit 50 Jahren an der RUB. Neue Bauverfahren bringen dabei immer auch neue Probleme mit sich. „Manche, eigentlich aus dem Flugzeugbau bekannten Phänomene treten durch die neuen Bautechniken und Bauweisen heute oft an Bauwerken auf“, erzählt Höffer. Ein Beispiel ist die Talbrücke der Autobahn 46 bei Nuttlar, vor etwa zehn Jahren gebaut. Die höchste Stütze ist 115 Meter hoch, der größte Abstand zwischen zwei Stützen ebenfalls 115 Meter lang. Bei der Durchsicht der Planungsunterlagen der Brücke im Auftrag von Straßen.NRW fiel das Problem möglicher winderregter Schwingungen auf. Straßen.NRW beauftragte eine Studie im Grenzschichtwindkanal der RUB, der zu Rüdiger Höffers Forschungsgruppe gehört. „Da war die Baustelle schon eingerichtet“, berichtet Höffer.
Das U schließen
Obwohl die Problematik so spät entdeckt worden war, konnte eine Lösung für das Windproblem gefunden und die Straßenbaubehörde beraten werden: „Wir haben in Kooperation mit unserem Spin-Off, dem Ingenieurbüro Niemann Ingenieure mit Sitz im benachbarten Technologiezentrum, spezielle Windkanalexperimente durchgeführt und gemeinsam vorgeschlagen, das U der noch unfertigen Brücke oben mit Blechen so zu schließen, sodass der Wind nicht mehr hineingreifen konnte“, erklärt Rüdiger Höffer. Bei diesem speziellen Querschnitt und unter Berücksichtigung der Schwingungseigenschaften des Vorschubquerschnittes an den entscheidenden Vorschubpositionen genügte das, um die Gefahr durch den Wind zu entschärfen. Diese Methode hat Schule gemacht. So wurden seitdem bei einigen anderen Brücken die quer verlaufenden Stahlträger, die später die Betonfahrbahn tragen, zur Beeinflussung des Umströmungsfeldes mit Segeltuch bespannt.
„Die ungünstigen Formen der im Bau befindlichen Brücke zu verbessern, ist die eleganteste Methode, dem Wind ein Schnippchen zu schlagen“, so Rüdiger Höffer. Neben dem Schließen des Us gehört zu den Tricks des Teams aus Ingenieurbüro Niemann Ingenieure und der Forschungseinrichtung Grenzschichtwindkanal auch die Entwicklung entsprechender Spoiler, genauer Luftleitbekleidungen. Sie können viele Gestalten haben: Seitlich angebaute Windleitflächen in der Form eines spitzen Dreiecks mindern schwingungsanregende Wirbelablösungen.
Auch unausgesteifte Stützen der noch im Bau befindlichen Brücke sind besonders bei hohen Bauwerken durch den Wind gefährdet. Spezielle Anbauteile, zum Beispiel aus Holztafeln, können bedrohliche, periodische Wirbelablösungen zerreißen. Da sie allerdings auch den Windwiderstand der Stütze erhöhen, muss diese durch eine stärkere Bewehrung aus Stahl im Beton von vornherein verstärkt werden. Man muss also vor dem Bau der Stütze wissen, ob die Anbauteile aerodynamisch vonnöten sind, und gegebenenfalls die Stütze für die etwas höheren Windwiderstände bemessen. Für eine sichere Voruntersuchung ist ein gebäudeaerodynamischer Grenzschichtwindkanal, wie der Bochumer Windkanal, erforderlich.
Stoßdämpfer am Seil
Bei Hängebrücken sind die Seile ein Angriffspunkt für den Wind, der bedacht werden muss. „In Japan wurde in den 1990er-Jahren eine Brücke gebaut, deren Seile zum Schutz vor Verschmutzung und Alterung mit einem glatten Überzug versehen waren“, so Rüdiger Höffer. Bei Regen – und in Japan regnet es oft – bilden sich darauf kleine Rinnsale. Versetzt ein leichter Wind diese Wasserspuren in Schwingung, genügt das schon für ein gefährliches Aufschwingen des Seiles wegen seiner normalerweise nur geringen Dämpfung. Schwingungsdämpfer am Fußpunkt des Seiles sorgen deshalb für eine ausreichend erhöhte Dämpfung.
Vom Kühlturm über Stadien und Brücken zu Windenergieanlagen
Für jedes neue Bauprojekt seien neue Untersuchungen nötig, betont Höffer. Seit 2004 ist sein Team auch auf die numerische Simulation der Auswirkungen von Wind auf Bauwerke spezialisiert. Sie kommen unter anderem dann zum Einsatz, wenn Baupläne nach der eigentlichen Untersuchung im Windkanal noch angepasst werden oder wenn kleinskalige Details untersucht werden sollen, die im Windkanal nur schwer ausgemessen werden können.
„Lange Zeit war der Windkanal an der RUB weltweit die Nummer eins für die Untersuchung geplanter Kühltürme“, blickt Rüdiger Höffer zurück. „Aufgrund der Energiewende werden die heute zumindest in Europa nicht mehr so häufig gebaut.“ Doch die Arbeit geht den Ingenieuren nicht aus: Neben Stadien und Brücken untersuchen sie heute im Windkanal auch die Tragwerke von Windenergieanlagen.